Die Kanarischen Inseln verarmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der FOESSA-Stiftung. Demnach lebt knapp ein Drittel der Einwohner in Armut. Mehr als 630.000 Menschen befinden sich in einer Situation “erheblicher Benachteiligung”. Das teilte Daniel Rodríguez de Blas aus dem Forschungsteam der Cáritas Española auf Teneriffa mit.
Die Stiftung wurde zur Förderung von Sozialstudien und angewandter Soziologie gegründet und betrachtet regelmäßig die Einwohnerstruktur der Kanarischen Inseln. Ihr 9. Bericht über soziale Ausgrenzung und Entwicklung auf den Kanarischen Inseln wurde jetzt in La Laguna vorgestellt.
Die erschreckende Erkenntnis der neuen Studie lautet, dass die Hälfte der Betroffenen sogar in “extremer Armut” lebt. Ihre Lebensrealität wird aus diesem Grund auch von sozialer Ausgrenzung bestimmt. Damit führen rund 300.000 Einwohner auf den Kanarischen Inseln eine Art soziales Schattendasein.
Die Armutsgrenze erreichen sogar rund 425.000 Kanarios. Das sind etwa 19,6 Prozent der Einwohner. Damit ist das soziale Gefälle im spanienweiten Landesvergleich zwar leicht gesunken. Dennoch ist Armut auf den Kanaren weiterhin deutlich verbreiteter als im Rest des Landes (11,3 Prozent).
Armut auf den Kanaren: Digitalisierung als Ausgrenzungsfaktor
Die pandemiebedingte Digitalisierung hat sich dabei als neuer Treiber entpuppt. So haben etwa 30 Prozent der Haushalte kaum die Möglichkeit, technologisch Schritt zu halten. Etwa die Hälfte davon hat gar keinen Zugang zur digitalen Welt.
Dem Bericht lassen sich zwei “Verlierer-Gruppen” entnehmen. So sind Frauen und Migranten besonders von Armut betroffen. Im Vergleich zum vergangenen Bericht nahm die Zahl der Haushalte, die von Frauen geführt wurden und nun in die Armut rutschten, nochmals zu.
Frauen und Ausländer auf den Kanaren sind oft arm
28 Prozent der in Armut lebenden Haushalte werden hauptsächlich von einer Frau ernährt. Bei Haushalten, deren Haupteinnahmequelle ein Mann ist, liegt die Quote hingegen bei 22 Prozent.
Die zweite Gruppe wird durch die Herkunft der Betroffenen gebildet: Laut Bericht sei es ein Nachteil, als nicht wohlhabender Ausländer auf den Kanarischen Inseln zu leben. Denn fast die Hälfte der Haushalte, die von einer Person ausländischer Herkunft geführt werden (47 Prozent), sind von Ausgrenzung betroffen. Der Bericht spricht an dieser Stelle gar von einer “zersplitterten Gesellschaft”.
Kanarische Inseln: Jungen Menschen fehlt die Perspektive
Auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die Zahl der benachteiligten Menschen hoch. Jede dritte Person zwischen 19 und 29 Jahren auf den Kanarischen Inseln ist von Armut betroffen. Das sei laut FOESSA-Bericht ein großer Hinderungsgrund dafür, Träume zu verwirklichen und sich ein freies Leben aufzubauen. Was der Bericht an dieser Stelle umschreibt, ist Perspektivlosigkeit.
Ähnlich ist es bei Familien mit Kindern. Wer aus nicht wohlhabenden Verhältnissen stammt, geht laut Bericht die Gefahr ein, durch Kinder in Armut und dadurch auch in soziale Ausgrenzung zu rutschen. 35 Prozent der betroffenen Haushalte haben Kinder.
Zahl der Arbeitslosen-Haushalte auf den Kanaren hat sich verdoppelt
130.000 Haushalte sind laut Bericht wirtschaftlich von einer Person abhängig. In etwa 50.000 Familien ist der vorherige Hauptverdiener langzeitarbeitslos. Die Zahl der Familien, in denen beide Ernährer in die Arbeitslosigkeit rutschten, hat sich in den vergangenen beiden Jahren sogar verdoppelt. Sie liegt in zwischen bei 120.000.
Die Folgen seien laut Bericht prekär. In mehr als jedem fünften Haushalt wurde aufgrund finanzieller Schwierigkeiten auf notwendige medizinische Behandlungen oder Arzneien verzichtet. Bei den von Armut und Ausgrenzung betroffenen Haushalten war es sogar mehr als jeder zweite.
Folge der Pandemie ist jedoch vor allem eine enorme Zunahme psychischer Erkrankungen. Rund 400.000 Menschen auf den Kanarischen Inseln sind davon betroffen. Das bedeutet eine Vervierfachung innerhalb weniger Jahre.
Armut auf den Kanaren: Das muss die Politik ändern
Die Arbeitsgruppe kommt zu dem Schluss, dass die Sozialpolitik vier wesentliche Änderungen vornehmen muss. Zum einen müsse die Sozialarbeit angekurbelt werden. Dazu gehöre eine ganzheitliche Betrachtung neuer, öffentlicher Sozialpolitik.
Zudem sei der Zugang zu einem Mindesteinkommen notwendig. Der Bericht geht nicht konkreter darauf ein, auf welche Weise der Zugang zu einem Mindesteinkommen geschaffen werden müsse. Jedoch sei es derzeit nur 15 Prozent der von enormer Armut betroffenen Menschen möglich, Leistungen dieser Art zu beziehen.
Auch am Wohnungsmarkt müsse es eine Reform geben. 75.000 Familien hätten derzeit Probleme, ihre Miete oder Hypothek zu bezahlen. Und zum Vierten müsse die Politik laut Bericht allen Menschen Zugang zur digitalen Welt verschaffen und gleichzeitig darauf achten, den digitalen Wandel nicht zu schnell zu vollziehen, um keine Betroffenen abzuhängen.
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