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Analyse: So marode sind die Strom-Netze der Kanaren wirklich


Jedes zweite Kraftwerk auf den Kanarischen Inseln hat seine Lebensdauer erreicht. Ersatz ist nicht beauftragt. Die Kanaren stehen vor einem täglich wachsenden Problem.

Von Johannes Bornewasser Lesedauer: 5 Minuten

Im vergangenen Sommer ist La Gomera dunkel geblieben. Ein Feuer in einem Kraftwerk hat zunächst große Teile der Kanaren-Insel von der Versorgung abgeschnitten. Örtlich blieb der Strom über Tage abgeschaltet. Der Grund: Die Ausrüstung war bereits 35 Jahre alt, die Technologie hoffnungslos veraltet.

Das Kraftwerk von San Sebastián auf La Gomera ist kein Einzelfall. Die Kanarischen Inseln sind längst in einen Sanierungsstau gelaufen. Die Problematik ist seit Jahren bekannt. Doch Maßnahmen werden aufgeschoben. Und so wächst die historische Schuld jeden Tag.

Jedes zweite Kraftwerk auf den Kanaren hat seine gesetzlich vorgegebene Nutzungsdauer bereits überschritten. In weniger als sechs Jahren darf eigentlich sogar nur noch jedes vierte von ihnen betrieben werden. Und bisher fehlt es an Lösungen. Dafür wachsen die Probleme.

Drei Kanaren-Inseln haben besonders viele alte Kraftwerke

Die Stromerzeugung geschieht über alle Kanarischen Inseln betrachtet zu mehr als 80 Prozent in Wärmekraftwerken. Dabei kommen drei wesentliche Technologien zum Einsatz: Gas in 3,7 Prozent der Fälle, Dampf bei 18,8 Prozent und Diesel bei 25,9 Prozent der Kraftwerke. Etwas mehr als jedes zweite Wärmekraftwerk kombiniert mehrere Technologien.

43 dieser 93 Kraftwerke haben ihre Lebensdauer bereits 2020 erreicht. Im Jahr 2030 werden nur noch 24 von ihnen den Anforderungen entsprechen. Und darauf hat der Versorger Red Eléctrica selbst hingewiesen. Das war bereits im Jahr 2021.

Damals wurde auf das Defizit aufmerksam gemacht. Insbesondere Teneriffa, Gran Canaria und Fuerteventura stünden vor Herausforderungen, hieß es in einem Bericht an die Regional-Regierung. Auf Teneriffa sind demnach 180 Megawatt Erzeugungsleistung betroffen und 120 auf Gran Canaria. Tendenz steigend. Entsprechend steige auch die Wahrscheinlichkeit neuer Stromausfälle.

Kanaren: Politik und Stromversorger schieben Verantwortung hin und her

Die Wissenschaft ist uneins. Von der Universität La Laguna (ULL) auf Teneriffa heißt es, dass die Wahrscheinlichkeit eines Stromausfalls weiterhin gering sei. Von der unweit gelegenen Hochschule für Wirtschaftsingenieure in Santa Cruz de Tenerife heißt es, das Risiko werde zunehmend größer, da die Technologie in vielen Kraftwerken längst in den Ruhestand gehöre.

In der Folge des großflächigen Blackouts auf La Gomera begann eine Debatte über die Schuldfrage. Die Politik präsentierte den Erzeuger als zuständig und entsprechend verantwortlich. Der wiederum verwies auf sein Schreiben von 2021 und sagte, dass die Politik Ausschreibungen ausgeben müsse, damit neue Kraftwerke gebaut werden können.

Strom-Monopol auf den Kanaren sorgt für Langsamkeit

Dies sei jedoch trotz des Berichts nie geschehen. Ohne öffentliche Ausschreibung dürfen Arbeiten dieser Größenordnung nicht stattfinden. Und entsprechend passierte weiterhin: nichts.

Das gilt auch für die möglicherweise größte Problematik rund um das Elektrizitäts-System der Kanarischen Inseln. Denn es besteht ein Monopol. So lang es keine Konkurrenz gibt, erwarten Experten auch keinen Druck seitens des Versorgers auf die Politik. Und so werden dringend notwenige Investitionen erneut aufgeschoben – möglicherweise sogar so lang, bis ein weiterer großer Stromausfall die Defizite in die kollektive Erinnerung ruft.

Regenerative Energie (noch) keine Lösung für die Kanarischen Inseln

Eine Lösung könnte der in Madrid geschmiedete Plan für die Energiewende sein. Auf diese Weise würden viele konventionelle Kraftwerke gar nicht mehr ausgetauscht, sondern direkt der regenerativen Stromerzeugung weichen. Entsprechende Pläne umfassen eine Gesamtkapazität von 1500 Megawatt.

Allerdings wird damit gerechnet, dass allein von der Ausschreibung bis zur finalen Genehmigung sechs bis zehn Jahre ins Land gehen. Und erst dann kann mit dem Bau begonnen werden. Die von Red Eléctrica genannten Defizite beziehen sich hingegen auf die Gegenwart. Und sie wachsen mit jedem Monat, in dem weiterhin nichts geschieht.

Warten auf den Energienotstand: Gefährliches Kalkül auf den Kanaren

Die Reaktion auf die eigenen Versäumnisse ist derzeit das Ausrufen des regionalen Energienotstands. Damit solle nun eine außerordentliche Ausschreibung für neue Energieinfrastrukturen erzwungen werden. Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Staat durch diesen Notfall mit 250 Millionen Euro in die Bresche springt.

Dieses Warten auf den Ernstfall ist gefährliches Kalkül der Regionalregierung. Reicht das Ausdehnen der Betriebszeiten bis zum Neubau der durch den Notstand aus Madrid finanzierten Kraftwerke, hat sich die Region viel Geld gespart. Kommt es jedoch bereits zuvor zu neuen Stromausfällen, hat sich die kanarische Regierung gehörig verpokert.

Madrid baut neue Kraftwerke auf Teneriffa, Gran Canaria und Fuerteventura

Sollte Madrid die Neubauten genehmigen, sind die regionalen und lokalen Behörden gefragt. Dieses Einholen aller Genehmigungen wird frühestens für das Jahr 2025 erwartet.

Die versprochenen Gelder sollen dann für 50,8 Megawatt (MW) auf Gran Canaria, 71,6 MW auf Teneriffa und 32,8 MW auf Fuerteventura führen. Damit bleiben die Neubauten deutlich unter dem Energieanteil, der von bereits heute veralteten Kraftwerken geliefert wird. Allerdings könnte die Kapazität der älteren Kraftwerke immerhin stückweise heruntergefahren und die Technik so leicht geschont werden. Wenn der Bedarf gleich bliebe.

Auch die Stromnetze der Kanaren kommen in die Jahre

Experten sehen in dieser Flickschusterei lediglich eine Art Fangnetz für zu erwartende Probleme in den alten Anlagen. Eine Garantie für dauerhafte Stromversorgung könnten die neuen Anlagen nie sein. Zudem gebe es weitere Herausforderungen.

Eingepreist werden müsse nämlich zum einen, dass auch die Stromnetze selbst veraltet sind. Zum anderen steige der permanente Bedarf an immer mehr Energie. Der aktuelle Lebenswandel sorgt also dafür, dass die heute bereits fehlenden Kapazitäten in Zukunft allein durch den zu erwartenden Mehrbedarf an Strom weiter steigen. Und die Netze sind schon jetzt mancherorts stark belastet.

Problem Elektroauto: Immer mehr Stromverbrauch auf den Kanaren

Als Beispiele genannt werden neben immer mehr Kleinst-Verbrauchern, beispielsweise durch die Technologisierung der Häuser, auch Elektroautos und Klimaanlagen gegen die zunehmenden Hitzeperioden. Wie schnell die E-Mobilität zum Problem werden kann, zeigt eine Rechnung der ULL.

Allein die Umstellung der Bus-Flotte auf Teneriffa kann zur Herausforderung für den Versorger werden. Sollte Titsa beschließen, zehn Elektrobusse á 300 Kilowatt zu kaufen, würden nur dafür weitere drei Megawatt benötigt. Nur das wären bereits mehr als neun Prozent der Energie aus der für Teneriffa neu geplanten Kapazität.

Energieversorgung auf den Kanaren: Viel Strom fließt durch wenig Knotenpunkte

Schließlich geht es auch um die Verteilung. Die jüngsten größeren Stromausfälle auf den Kanarischen Inseln haben gezeigt, dass die Konzentration der Energieversorgung über zu wenig Verteilerpunkte ebenfalls als zum Problem werden kann. Auf Gran Canaria ist Junámar ein solcher neuralgischer Knotenpunkt, auf Teneriffa ist es Granadilla.

Neben der Herausforderung der Stromerzeugung und der Netz-Kapazitäten muss also auch die Verteilung hinterfragt werden. Und neue Stromtrassen zu bauen gilt als Herkulesaufgabe, bei der viele Behörden und Interessengruppen mitreden wollen.

Die Neuplanung der Stromversorgung auf den Kanarischen Inseln hat neben der Beseitigung historischer Schuld Dutzende Aufgeben zu bewältigen, um zunächst der Gegenwart und dann auch der Zukunft gerecht zu werden. Die verschiedenen Akteure gehören dringend an einen großen, gemeinsamen Tisch. Und damit dort konstruktive und nach vorn gerichtete Diskussionen entstehen, geschieht das besten noch vor dem nächsten großen Stromausfall.


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Johannes Bornewasser ist Herausgeber von Teneriffa News. Er hat zudem die redaktionelle Verantwortung inne. Zu seinem Autorenprofil geht es hier.

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