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Debatte um Einwohnerzahlen auf den Kanaren: Stimmenfang oder reales Problem?


Die Einwohnerzahlen der Kanarischen Inseln sind lange Zeit kontinuierlich gewachsen. In den vergangenen 20 Jahren kamen mehr Menschen auf den Archipel als in alle anderen Gemeinschaften Spaniens. Schaffen die Kanaren das? Oder ist es gar eine Scheindebatte?

Von Johannes Bornewasser Lesedauer: 4 Minuten

Innerhalb von rund 20 Jahren sind die Kanarischen Inseln um ein Drittel gewachsen. Freilich nicht im Umfang, sondern bei den Einwohnerzahlen. Das geht aus Daten des Nationalen Statistik-Instituts (INE) hervor. Mit 530.000 neuen Einwohnern verzeichnen die Kanaren jetzt 32 Prozent mehr Bürger als zum Ende des vergangenen Jahrtausends.

2,2 Millionen Menschen leben somit inzwischen auf den Inseln. Und damit ist eine neue Debatte entbrannt. Denn während Ressourcen immer knapper werden und auch die Arbeitslosigkeit wieder auflodert, hat die Politik ein neues Thema gefunden: Die Kapazität der Inseln.

Eine neue Studie soll Aufklärung bringen, ob die Kanarischen Inseln die Zuwanderung aus dem In- und Ausland aushalten. Während das Tourismusministerium fleißig um Menschen buhlt, die als Langzeit-Besucher von den Kanaren aus arbeiten sollen sobald es in den europäischen Winter geht (mehr dazu hier), sollen die Analysten nun also herausfinden, ob das für die Inseln überhaupt gut ist.

Es ist genau der Spagat, den ein Archipel mit einer so enormen Abhängigkeit vom Tourismus machen muss. Auf der einen Seite schwinden aktuell Ressourcen, wie beispielsweise das Wasser (mehr dazu hier). Auf der anderen Seite wird um immer mehr Menschen geworben, die möglichst lang bleiben und dabei möglichst viel konsumieren sollen.

Kanaren-Zuwanderung: Studie soll Aufschluss über den Zustand der Inseln geben

Aufschluss über den aktuellen Zustand der Inseln soll nun die Studie geben. Sie beschäftigt sich beispielsweise mit den Kapazitäten beim öffentlichen Personennahverkehr und der Ansiedlungsrate der Regionen.

Der Vizepräsident der Kanarischen Inseln, Román Rodríguez, ist schon vor dem Start der Studie davon überzeugt dass die Inseln überbevölkert sind: “Wir müssen nach Formeln suchen, die es ermöglichen, das unkontrollierte Bevölkerungswachstum zu stoppen”, sagt der Politiker. Damit bemüht er eine Rhetorik, die insbesondere bei den Verlieren der jüngsten Krisen Gehör finden dürfte – ob logisch begründet oder nicht.


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Für Rodríguez steht fest, dass nur durch eine Begrenzung “die Arbeitslosigkeit verringert” werden kann. “Nur so kann die Lücke in unseren öffentlichen Dienstleistungen und das Verkehrschaos auf den Straßen vermieden werden”, sagt der Vizepräsident.

Debatte um Einwohnerzahlen der Kanaren nur Scheinpolitik?

Die Debatte bei gleichzeitigem Buhlen um mehr Besucher und dem herausstellen immer neuer Tourismus-Rekorde zeigt das politische Dilemma: Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist nach der Corona- und mitten in der nächsten drohenden Wirtschaftskrise hoch. Und im kommenden Jahr stehen Wahlen an. Entsprechend werden nun polarisierende Themen bemüht.

Dass die Bevölkerungsdichte insbesondere mit Blick auf die Ressourcen kritisch betrachtet wird, ist dabei sogar sinnvoll. Dass allerdings die Stimmung schon vor Beginn der Studie in eine Richtung gedrängt wird, dagegen weniger.

Kanaren-Bevölkerung: Studie gab es schon vor 20 Jahren

Wobei genau das auf den Kanaren Tradition hat. Denn schon vor dem großen Bevölkerungs-Boom im aktuellen Jahrtausend wurde exakt diese Debatte geführt. Das Ergebnis war: das jüngste Wachstum. Denn während auf der einen Seite über Nachhaltigkeit gesprochen wird, leben die Inseln hauptsächlich von Langzeiturlaubern, Residenten und vor allem dem Massentourismus. Und der stellt das exakte Gegenteil von Nachhaltigkeit und Augenmaß dar.

Genau das entlarvt den Wählerfang in der aktuellen Debatte. Denn eine Politik, die ernsthaft etwas ändern möchte, würde nicht vor der Studie deren Ergebnis herbeireden, sondern als Basis für eine solche Debatte zunächst über konstruktive Wege diskutieren, den wirtschaftlichen Fokus zu verändern, der aktuell auf Wachstum ausgelegt ist, nicht auf Begrenzung.

Außerdem würde die Debatte nicht im ersten Jahr mit sinkenden Einwohnerzahlen geführt. Genau das nämlich zeigt der Blick auf die Daten des INE (siehe Grafik oben). Erstmals seit 21 Jahren ist der Trend krisenbedingt leicht gegensätzlich.

Und noch etwas stößt in der aktuellen Debatte sauer auf: Schon Anfang der 2000er-Jahre gab es eine Studie, die im Falle weiterer Zuwanderung “Auswirkungen auf die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen haben wird”, wie der Blick in das alte Papier zeigt. Genannt werden darin “insbesondere die Bereiche öffentliche Gesundheit, Bildung, Wohnungswesen und soziale Dienste”.

Außerdem wurde in dem Papier davor gewarnt, dass “bestimmte Inseln wie Lanzarote und Fuerteventura nicht darauf vorbereitet sind, so viel Bevölkerung aufzunehmen, und die Hauptinseln Gran Canaria und Teneriffa, die bereits eine sehr hohe Bevölkerungsdichte aufweisen, einen gewissen Sättigungsgrad erreichen könnten”.

In der Folge dieser Erkenntnisse startete das jüngste Wachstum. Seinerzeit sogar mit der steilsten Kurve aller Jahre. Damals hieß der Präsident der Kanarischen Inseln: Román Rodríguez. Kein Wunder also, dass der Politiker schon vor Studies-Start weiß, wie deren Ergebnis lauten wird.

Zuwanderung auf die Kanaren: Debatte ist sinnvoll – in der richtigen Reihenfolge

Dass das Thema aufgebracht wird, ist inhaltlich sinnvoll. Dass ausgerechnet der Politiker nun damit auf Stimmenfang geht, der seinerzeit offensichtlich dabei versagte, den Kurs zu ändern, dagegen scheinheilig. Zumindest so lang es keine Konzepte gibt, die Kanaren wirtschaftlich auf einen neuen Kurs zu befördern.

Bis zu den Wahlen verbleibt ist noch etwas Zeit. Sollte diese genutzt werden, um den Inseln eine echte Zukunft aufzuzeigen, markiert die Studie einen sinnvollen Startpunkt – ganz unabhängig vom Zungenschlag des Papiers. Es ist an der Zeit, aus einer wahlbedingten Stimmungspolitik eine Realpolitik zu gestalten.

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Johannes Bornewasser ist Herausgeber von Teneriffa News. Er hat zudem die redaktionelle Verantwortung inne. Zu seinem Autorenprofil geht es hier.

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