Die Wachstumszahlen bei Hilfsbedürftigen auf den Kanarischen Inseln sind schwindelerregend: Zwischen 2000 und 2001 nahm die Rate bereits um satte 83 Prozent zu. Und auch in diesem Jahr verzeichnet die Hilfsorganisation auf den Kanaren wieder ein Plus. Die Lage ist verzwickt.
Inzwischen betreut die Caritas knapp 15.000 Haushalte. Das sind rund 53.000 Menschen, die ohne dieses Angebot im Alltag nicht überleben könnten. Nach dem enormen Zuwachs im Vorjahr bedeutet das erneut ein Wachstum um 17,3 Prozent. Und das, obwohl viele Betroffene arbeiten.
Die Generalsekretärin der Cáritas Diocesana de Canarias, Caya Suárez, sagt, dass die Schere weiter auseinander gegangen sei: “Die Rückkehr zur Normalität und die wirtschaftliche Erholung haben die ärmsten Menschen auf den Kanarischen Inseln nicht begünstigt. Die Kluft hat sich nach dem Ende der Pandemie vergrößert”, lautet die Einschätzung der Expertin.
Zwar sei ein Großteil derer, die Hilfe der Caritas in Anspruch nehmen, arbeitslos, dennoch seien auch viele Arbeitnehmende darunter, berichtet Suárez. Auch Menschen, die sich um andere kümmern und daher nicht ausreichend Zeit haben, um mehr zu arbeiten, benötigen demnach Unterstützung.
Kanaren: Viele arme Menschen brechen wichtige medizinische Behandlungen ab
81 Prozent der bei der Cáritas Hilfe suchenden Menschen haben keine eigene Wohnung. Außerdem sei jeder Dritte von unsicheren oder unzureichenden Wohnverhältnissen betroffen.
Die schlimmste Auswirkung dieser Armut liege jedoch darin, dass viele Betroffene medizinische Behandlungen abgebrochen hätten, nachdem sie die Kosten nicht mehr tragen konnten. 13 Prozent der Betroffenen hätten schließlich um finanzielle Hilfe zu diesem Zweck gebeten.
Die Experten gehen davon aus, dass es weit mehr Betroffene gibt, viele von ihnen jedoch aus Scham nicht nach entsprechender Unterstützung fragen. Anders sieht das bei Problemen mit der Miete aus. Danach fragen laut Caritas 28 Prozent aller Hilfsbedürftigen.
Eine “signifikante Zunahme” gebe es nach der Pandemie außerdem bei den psychischen Erkrankungen. Ferner habe sich die körperliche Verfassung vieler Obdachloser dramatisch verschlechtert, teilte Suárez mit.
Immer mehr Frauen leben auf den Kanaren in Armut
Auch sei Armut inzwischen immer öfter weiblich. 63 Prozent der Hilfesuchenden zwischen 40 und 59 Jahren seien Frauen. In acht von zehn Fällen handle es sich um Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern.
Und noch ein Problem sei erkennbar: Bei den Frauen, die – meist unfreiwillig – in der Prostitution landen, gebe es eine starke Zunahme. Allerdings seien Teile des Plus um 114 Prozent auch auf bessere Erkennungswerkzeuge zurückzuführen, heißt es einordnend.
Bei der Migration gebe es ebenfalls eine Zunahme: Von den 4309 bekannten Obdachlosen auf den Kanaren hätten etwa 1800 einen Migrationshintergrund. In Summe würden 3432 Migranten unterstützt. Auch das bedeutete eine Zunahme.
Armut auf den Kanarischen Inseln ist eine “strukturelle Realität”
Der Direktor der Diözesan-Caritas auf den Kanaren, Gonzalo Marrero, sagte, die Armutssituation Tausender Kanarios habe sich deutlich verschlechtert. Sie sei inzwischen eine “strukturelle Realität” geworden.
“Die Rückkehr zur Normalität und die wirtschaftliche Erholung haben die Ärmsten nicht begünstigt. Die makroökonomischen Daten sprechen von Wachstum, aber wir müssen uns fragen, wohin dieses Wachstum geht. Bereits seit 2019 könne man diese Auswirkungen beobachten, prangerte Marrero an.
Arbeiter auf den Kanaren leben immer öfter unterhalb der Armutsgrenze
Außerdem klagt der kanarische Caritas-Chef darüber, dass Menschen, die 40 Stunden pro Woche arbeiten, von ihrem Lohn leben können müssen. “Früher kam man automatisch aus der Armut heraus, wenn man Arbeit fand. Aber in der aktuellen Situation sehen wir ein fortschreitendes Wachstum der arbeitenden Armen auf den Kanarischen Inseln.”
Auch der Bischof der Diözese der Kanarischen Inseln, José Mazuelos, findet die Daten alarmierend. Sie sollten für die regionale und nationale Politik “ein Weckruf” sein. “Wir kehren zur Normalität zurück. Aber die Bedürftigen tun es nicht”, sagte der Geistliche.
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